Integration?

Ja, auch ich habe Witze über behinderte Menschen gemacht. Und nicht nur über die, sondern auch über andere Minderheiten. Muss ich mich deswegen schämen? Ich denke es wäre gelogen wenn ich es täte, denn ich habe mir nie Gedanken darüber machen müssen, schließlich war ich nie in irgendeiner Weise betroffen. Heute ist das anders.

Die Herzdame und ich haben da unterschiedliche Auffassungen. Früher wurden Down-Kinder auch als Mongos bezeichnet und dieser Begriff ist auch heute leider noch keine Seltenheit geworden. Auch ich nutze in sehr wenigen Momenten diesen Begriff, um Abfälligkeiten verbal darzustellen. Die Herzdame ist dann oft negativ überrascht wie ich denn nur solche Begriffe in den Mund nehmen kann, schließlich ist auch unser Kind ein Down-Kind.

Dass unsere kleine Nele das Down Syndrom hat, habe ich ja schon mal irgendwo erwähnt und nun muss ich mich ganz anders mit dem Thema Behinderung auseinandersetzen.
Ich wehre mich eigentlich auch gegen das Wort Behinderung, schließlich hat sie nur ein Chromosom zu viel.
Bisher haben wir viel Glück. Nele entwickelt sich bestens und ihrem Alter entsprechend sehr gut, sie ist ein lebhaftes und aufgewecktes Kind. Und das Allerwichtigste, sie ist kerngesund!

Zwangsläufig beschäftigt man sich nicht nur mit dem Krankheitsbild sondern auch mit vielen anderen Dingen. Nun sehe ich mir Reportagen oder Filme von oder über Leute mit Trisomie 21 an. Das hätte ich vorher nicht getan, nicht weil ich eine Abneigung habe, sondern einfach, weil es mich nie betroffen und nicht interessiert hat.
Auch nehmen wir Kontakt mit anderen betroffenen Eltern auf. Also inzwischen ist es vielmehr so, dass diese Kontakt mit uns aufnehmen, wir haben da mal unsere Telefonnummer wo hinterlassen.
Natürlich hatten wir Anfangs Fragen, aber ich glaube, die Herzdame und ich sind so schnell mit der Situation klargekommen dass uns kaum noch jemand etwas Neues erzählt.

Erfährt man von einer Diagnose wie Trisomie 21 dann muss man sich wohl oder übel mit dem Thema auseinandersetzen und das haben wir auch gern gemacht. Was für mich früher nie ein Thema war und was in mir auch nie Bedenken ausgelöst hat, ist mit Neles Geburt wahr geworden. Es stellen sich Fragen, wie wohl die Zukunft aussehen mag; meines Erachtens ist es die Aufgabe der Eltern, einen selbständigen Menschen zu formen ein Kind zu einem selbständigem Menschen zu erziehen.

Selbstbestimmung bedeutet, mit eigenen Entscheidungen sein Leben gestalten zu können

Auf diesem langen steinigen Weg kann man sich begleiten lassen, von verschiedenen Organisationen und Institutionen und wenn man wollte, kann man es sich ganz einfach machen. Aber die Herzdame und ich wollen das nicht, also sehen wir uns die Optionen an.

In erster Linie wird es um einen Kindergartenplatz gehen. In Freising gibt es zwei integrative und einen Montessori Kindergarten. In den einen integrativen Kindergarten wollen wir nicht, weil er von den Betreuungszeiten eher bescheiden liegt. Der Montessori kommt auch eher weniger in Frage. Ich mag zwar das Konzept gut leiden, nur wird es hier in Deutschland irgendwie falsch ausgelebt. Da sind dann Hippies und Müslibrote, Sandalenträger und Radlfahrer Eltern die ihre Kinder nicht impfen lassen, weil man ja Alternativ ist. Aber gerade Down-Kinder haben eine viel höhere Infektanfälligkeit.
Bleibt also noch der zweite integrative Kindergarten. Da sieht es gar nicht so schlecht aus mit einem Platz … wenn man Mitglied bei der Lebenshilfe Freising ist und einen jährlichen Beitrag abdrückt.
Also außer diesem Kindergarten werden wir uns natürlich weitere anschauen. Mal sehen wie es sich da so verhält und wie die da so reagieren. Wir haben bereits von anderen Eltern gehört, dass sie keinen Platz deswegen bekamen mit der Begründung, man hätte kein geeignetes Personal und so weiter … bla bla bla. Manchen Leuten ist ja keine Ausrede zu schlecht.

Dann wird Nele irgendwann mal in die Schule gehen. Na da können wir uns ja schon frisch machen. Die Landshuter Gruppe von Eltern mit Kindern mit Trisomie 21 hat da Anfang des Jahres mal berichtet, dass es endlich geschafft wurde eine integrative Klasse zu schaffen. Ich glaube, dass es den meisten doch am liebsten wäre man würde behinderte Menschen separat irgendwo „verstecken“. So eine Schule bietet sich doch förmlich an, so eine kleine Sonderschule mit einem Spielplatz hinter einer besonders hohen blickdichten Hecke.
Und schon hier trennen sich die Geister was Integration betrifft. Während im Kleinkindalter in den Kindergärten noch probiert wird zu integrieren, sieht es mit zunehmendem Alter immer schlechter aus.
Ich mag da gar nicht weiter in die Zukunft denken, aber es gibt da noch weitere Gedanken, die mich einfach nicht loslassen.
Auf einem unserer ersten Spaziergänge durch Freising kamen wir an dem Gebäude der Lebenshilfe vorbei. Das kannten wir schon, schließlich hatten wir schon vorher mal einen Termin dort. Was uns aber entgangen war, weil wir damals mit dem Auto hinfuhren, ist die Behindertenwerkstatt, die ebenfalls zur Lebenshilfe gehört. Hier arbeiten behinderte Menschen und die Produkte werden dann in einem Geschäft verkauft. Naja, nun kann man ja denken, schön und gut, haben die auch was zu tun und verdienen auch noch was dabei, aber mit Integration hat das in meinen Augen nichts zu tun.
Die Herzdame fragte mich ob wir da mal hingehen, also in diese Werkstatt und den Laden, ich erwiderte, dass wir das gern tun können, ich jedoch nichts kaufen werde, weil ich dieses System nicht unterstützen möchte.
Diese Menschen leben in betreuten Wohnheimen, arbeiten in Werkstätten und Sonntags dürfen sie mal in der Stadt ein Eis essen, wenn das Wetter schön ist. Ansonsten hält man sie doch von dem Rest der Gesellschaft fern. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie nicht das Bedürfnis haben, bei brütender Hitze mal am Weiher zu liegen und baden zu gehen …
Wo bleibt denn da die oben zitierte Selbstbestimmung, schließlich stammt das Zitat direkt von der Webseite der Lebenshilfe??? Was geschieht denn, wenn ein Bewohner mit Behinderung am Nachmittag sagt, er möchte jetzt gern mal in die Stadt zum Bummeln gehen oder Eis essen???

Bei dem Gedanken, dass Nele mal in solch einem Wohnheim wohnt und in solch einer Werkstatt arbeitet, stehen mir die Tränen in den Augen.
Es muss doch andere Möglichkeiten geben, Menschen mit Behinderung in unser Leben zu integrieren???
Ich kann mich erinnern, dass in Potsdam im Oberlinhaus, einem Krankenhaus, viele Behinderte Menschen tätig waren, beispielsweise als Pförtner oder am Empfang. So etwas muss doch überall möglich sein!
Wir sollten doch soweit sein, dass wir Menschen mit Behinderung maximal intergrieren, ohne Wenn und Aber!!! Integration muss von Kleinauf stattfinden, über Kindergarten und Schule hinweg bis ins Arbeitsleben. Die Sanktionen gegen Unternehmen, welche sich weiterhin weigern behinderte Menschen einzustellen sollten viel härter sein, das muss richtig weh tun.

Nun kann man ja glauben, wenn ein Mensch eine Behinderung hat, so bekommt er ja einen Ausgleich vom Staat. Das fängt mit einem Behindertenausweis an über alle möglichen Förderungen. Aber gerade im Bereich Down-Syndrom klaffen da die Handhabungen sehr weit auseinander. Natürlich möchten Eltern wie die Herzdame und ich, dass unsere Nele so normal wie möglich behandelt wird: Kindergarten, Schule, Ausbildung und Arbeitsplatz.
Und genau weil es Eltern wie uns gibt, die nicht nur jammern sondern sich auch kümmern und was tun wird vom Amt der Grad der Behinderung gedrückt. Früher erhielten Menschen mit Trisomie 21 einen Grad der Behinderung von 100%, heute können wir froh sein, dass wir für Nele 80% bekamen, während andere Eltern gerade mal 40% haben. Die Begründung liegt dann eben in der „fantastischen“ Förderung, aber scheint man hier zu übersehen, dass die Möglichkeiten nach dem integrativen Kindergarten aufhören und dann erst wirklich der Kampf beginnt, und zwar als erstes mit dem Schulamt.

So bleiben nur zwei Möglichkeiten für uns. Nele in einen Behindertenkindergarten, Behinderten/Sonderschule und anschließend in so ein Wohnheim mit Werkstatt … Nein, das fällt aus!
Wir werden alles erdenklich Mögliche unternehmen um ihr ein lebenswertes Leben in unserer Gesellschaft zu ermöglichen, mit allem was dazu gehört.

Geposted am Sonntag, 7. September 2008 so gegen 19:10
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