Rüstiger Rentner

Ich kenne da jemanden, der jemanden kennt, dessen Bruders Schwester in einem Altenheim arbeitet. Altenheim klingt schon übel, in heutigen Zeiten heißt das ja schließlich Seniorenzentrum. Diese Person, nennen wir sie Anna*, erzählt mir hin und wieder von ihrer Arbeit. Manchmal erzählt sie mehr als mir lieb ist. Ihr wisst bestimmt was ich meine und wenn nicht, dann hört euch mal Dinge von denen von den Ärzten an.
Manchmal frage ich mich, ob ich das denn überhaupt alles wissen will oder ob es nicht besser wäre, nichts zu wissen. Das dürfte in etwa das Gleiche sein, wie mit größeren Fastfoodketten. In meinem Abiturjahrgang waren Einige die beim großen M jobbten und wenn die so aus dem Nähkästchen plauderten, schwor man sich, nie wieder einen solchen Laden zu betreten.
Aber bei den Restaurants kann man sich ja noch aussuchen, welches man betritt. Wenn man jedoch alt und möglicherweise dement ist, sieht die Welt schon wieder anders aus. Man entscheidet sich ja nicht freiwillig in ein solches Heim zu gehen. Diese Entscheidungen werden ja freundlicherweise von dem Rest der Verwandtschaft abgenommen. Die schieben ihre Alten dann in so ein Seniorenzentrum ab und besuchen sie ein bis zweimal im Monat.
Anna mag die Wochenenden nicht. An diesen kommen die Verwandten und gehen ihr auf die Nerven und in diesen wenigen Stunden, wo sie zu Besuch sind, sind sie der Meinung die ganze Fürsorge seit dem letzten Besuch nachzuholen. Anna wird dann mit tausend Fragen gelöchert und ihr wird erzählt, was wer am liebsten mag, gern anzieht oder gern zu sich nimmt. Das nervt Anna, schließlich ist sie nahezu täglich mit den Bewohnern in Kontakt, sie weiß, was wer wie mag.
Anna ist aber auch verärgert. Verärgert über die Mißstände in den Pflegeheimen. So ein Pflegeheim ist ja keine wohltätige Institution, sondern viel mehr ein wirtschaftliches Unternehmen. Bewohnern werden Pflegestufen zugewiesen und diese sollte natürlich möglichst hoch sein. Je höher die Pflegestufe, umso mehr Geld bekommt das Haus. Aber es ändert sich nichts. Wenn die Pflegestufen erhöht werden, wird trotzdem nicht mehr Personal eingestellt oder besser auf die einzelnen Bewohner eingegangen. Es ändert sich einfach nichts. Aber gespart wird ja nicht nur an den Bewohnern und der Fürsorge für diese. Gespart wird ja auch an Materialien und Dingen die Anna für ihre tägliche Arbeit braucht. Selbst wenn es dabei um die Gesundheit der Angestellten geht.
Glücklicherweise gibt es ja noch die Heimaufsicht. Das sind die Herren und Damen, die überraschend mal vorbeischauen, ob auch alles wirklich rechtens ist. Über solche Kontrollen muss ich ehrlich gesagt schmunzeln, als ich im Autohaus arbeitete, kam ein Meister und sagte, dieser Wagen ist ein Testfahrzeug. Also wusste der Mechaniker schon im Vorfeld, dass er sich besonders bemühen musste. Ich glaube, dass die entsprechenden Leute, in entsprechenden Positionen schon wissen, wann so eine Heimaufsicht kommt. Trotzdem fürchtet sich Anna immer ein wenig davor. Die kontrollieren dann alles ganz genau und wenn denen etwas nicht passt, muss Anna Rede und Antwort stehen. Das macht sie natürlich nicht gern. Besonders unangenehm ist es dann wenn sie sich für Fehler Unachtsamkeiten ihrer Kollegen verantworten muss. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, warum Anna das tun muss. Sie ist eine examinierte Krankenschwester und in ihrer Schicht sind dann meist nur Pflegehelfer. Also ist sie der ranghöchste Offizier.
Anna ist oft müde. Von vielen Seiten hört sie, dass man sie bewundere, für das was sie tue. Aber niemand sieht wie es ihr nach der Arbeit geht, wenn sie Schmerzen hat, weil der Job körperlich sehr anstrengend ist. Auch ich bewundere Anna dafür. Gerade mit solchen Menschen zu arbeiten, bedeutet auch, mit dem Tod zu arbeiten. Hört sich vielleicht extrem an, aber die wenigsten Bewohner verlassen ein Seniorenzentrum mit Puls.
Ich möchte auch nie in die Situation kommen, einen Teil meiner Familie oder der Familie der Herzdame in ein Heim geben zu müssen. Aber was wenn doch?
Ich hoffe, dass ich nie diesen Punkt in meinem Leben erreiche, an dem mich meine Kinder oder meine Frau in ein Heim geben, weil ich so pflegebedürftig bin, dass es zu Hause und allein nicht mehr geht. Ich habe mir fest vorgenommen, ein rüstiger Rentner zu werden.

* Name geändert

Geposted am Sonntag, 1. April 2007 so gegen 15:50
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